Entschleunigung in Ruhelosigkeit, Amen

von Fenna Hülsemann

Das entschleunigte Leben: Wäsche waschen. Einkaufen. Kartoffeln kochen. Sachen von A nach B tragen. Jemanden vermissen. Bügeln. Kuchen backen. Mittagsschlaf. Das dumpfe Gefühl, dass etwas fehlt. Aufstehen. Tee trinken. Mittagessen. Kaffee und Keks. Nur die Hälfte von allem. Spaziergang im Wald. Sonnenbaden. Farbe tragen. Kein Bekenntnis ohne die andere Hälfte, die ich am Abend vermeintlich stumm erwarte. Du sagst, ich kann es hören: „Lösch die Lupinen. Es werden härtere Tage kommen.“ Ach, Ingeborg – wo war dein Glück? Bei Frisch oder Celan? In Rom? In der Zigarette?  

Von Neuem: Wäsche waschen. An Blumen riechen. Versuchen, zu genießen. Wir Ruhelosen haben es schwer im Profit. Schweres Atmen, Vermissen der Leichtigkeit – Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins in Schwere verwandelt. Ist man allein, fühlt sie sich bedrohlich schwerelos an. So muss es nach einer Explosion sein: In Zeitlupe zersprengt die Materie, ihre Partikel fliegen in alle Richtungen. „The universe keeps expanding“ and the Universum kümmert sich nicht um unsere Kriege. Wir sind die Aliens, die sich gegenseitig zu Fremden erklären. Wir sind es, die aus dem Universum eine derart komplizierte Angelegenheit machen mussten. Uns hat es nicht gereicht, das Notwendige zu wissen, nein, wir mussten alles wissen, und wir scheiterten – immer wieder. Wir scheitern.

„Aber der Fortschritt!“, sagen die einen; „Aber der Stoffwechsel!“, sagen die anderen. Ein Dritter behauptet wiederum: „Schau dir dieses wunderschöne Kraftwerk an, es beliefert ganz Moabit mit Strom, vielleicht sogar den ganzen Wedding und ganz Mitte!“. Der Dritte denkt, er spreche ohne Standpunkt. Doch wo dieser noch die Magie fließender Energien entdeckt, die die Physik uns schon lange für den Segen der Technik rationalisiert hatte, sehe ich nur manifeste Ideologien von Ost und West. Ideologien, die die Menschen selbst dort in den Krieg zwingen, wo er gar nicht ist.  

Manche erklären mich für verrückt, wenn sie merken, was der Krieg mit mir macht – ich, die ihn schließlich nicht erleben muss, die nicht fliehen muss. Darauf antworte ich nicht. Es muss ihnen doch klar sein, dass wir alle nur verrückter werden, je länger wir diese Welt als Ganze mit unseren eigenen Körpern tragen müssen. 

Ich kann schlecht schlafen – von Neuem: Wäsche waschen. Kartoffeln kochen. Wäsche aufhängen. Sachen von A nach B tragen. Jemanden vermissen. Nur die Hälfte von allem essen – es war vorher ohnehin zu viel.  

Sehnsucht nach dem Schönen Leben. Kein Bekenntnis ohne die andere Hälfte. 

Ich bin eine Ruhelose, die das entschleunigte Leben auf dem Land im Osten lebt. Berlin, Berlin: Du bist einmalig. Deine Realität ist genauso real wie jede andere. Um Berlin herum sind die Vergessenen.