Frage an die zweite Welle

von Fenna Hülsemann

Die zweite Welle ist anders. Mit aller Ehrlichkeit und auf allen benennbaren Ebenen lässt sich in der ganzen Welt davon berichten, dass das Leben furchtbar und anstrengend ist. Der explizit-körperzerfetzende Krieg fand vorher an den Grenzen von Europa statt und verschonte die, die es bis nach drinnen geschafft hatten. Der seelenzerfetzende Krieg war schon längst in allen Teilen der Welt angekommen. Corona spielt ein gehässiges Spiel mit unseren Grenzen, die vorher schon bedrohlich für die allermeisten waren. Die Pandemie trägt den psycho-apokalyptischen Krieg in alle Nischen, die uns Europäern noch geblieben waren, um uns vor der Erkenntnis der Zerstörung zu schützen, die diese Welt ist. Vorher hatten wir Angst vor fremden Psychen, die unsere Psychen verletzen könnten. Jetzt haben wir Angst vor Körpern, die sich an fremde Psychen angliedern; Fremdkörper seien im Anmarsch, heißt es, und würden uns überfallen, wenn wir nicht aufpassten, würden sie unsere Körper zerfetzen, ansteckend, also gefährlich, seien die Körper, die bereits vom Fremdkörper besetzt werden. Schutz finden wir nur noch im tiefsten Inneren unserer eigenen Psyche, und unseren Körper schützen wir, indem wir eine gleichermaßen hermetische wie hermeneutische Grenze um uns ziehen. Unsere Psyche schützen wir gerade so, zusammen mit den paar anderen Psychen, die wir noch an uns heranlassen, und den angegliederten Körpern, die uns noch nahekommen dürfen. Das erschütterte Vertrauen in die Welt ist jetzt nicht mehr nur erschüttert. Es ist durch die Pandemie atomisiert worden und vertreibt uns in den Mikrokosmos. Außerhalb der eigenen Wohnung – der größte räumliche Kosmos, in dem wir uns noch frei bewegen können – ist alles Gefahr: Alle Körper und alle Psychen sind alarmiert.* Das Verdrängen der Realität ist nicht mehr haltbar, ein Vertrauen in die Welt dadurch umso unmöglicher. Wo lässt uns das zurück?



*Vielleicht fällt jetzt immerhin ein paaren auf, dass Körper und Psychen nicht trennbar sind…