Jenes 68er-Erbe, das man lieber ausschlagen möchte: Außerparlamentarische Koalition, Achsenmacht des Guten, überparteilicher Faschismus


von Lukas Meisner


Radikalität heißt, an der Wurzel zu packen. Extremismus heißt, ins Extrem zu gehen. Grundsätzlich kann es daher keinen 'Rechtsradikalismus' geben, da die Rechte sich dadurch auszeichnet, Schimären mit Diagnosen zu verwechseln; tendenziell rechtsextrem ist die Rechte insofern immer schon, als ihr Extremismus die Geste der Radikalität mimt zur Verdeckung ihres eigenen – symptomatischen – Symptom-Denkens der Oberflächen.

Nun gibt es da ein Datum, vor dem das Reaktionäre bis heute schaudert: 1968. Dabei hat uns 68 mit die schlimmsten politischen Blüten beschert, die sich so sprießen lassen. Wie auch immer 68 selbst zu bewerten ist – ob als Demokratisierung der Lebensformen oder als neuer Geist des Kapitalismus (oder eben als beides und natürlich sehr viel Weiteres) –, es kann einen nur verwundern, was aus manchen Ex-68ern so wurde. Es scheint, dass neben jenen wenigen, die ihren damaligen Idealen der Emanzipation treu blieben und sie weiter vertieften mit wachsender Lebenserfahrung, drei weitere Lager entstanden, von denen eins das andere übertrifft in seiner Wahnwitzigkeit.

Da sind die einen, die es sich im Gang durch die Institutionen mehr und mehr gemütlich machten erst in politischen Ämtern, dann in Aufsichtsräten, um schließlich zur außerparlamentarischen – weil: privatwirtschaftlichen – Koalition zu fusionieren. Dann sind da die zweiten, die sich im Gang durch die Kulturindustrie zunehmend zum bellizistischen und/ oder amerikanistischen und/ oder turbokapitalistischen Neo-Establishment verdünnisierten, um als Achsenmacht des Guten bald auf alles einzudreschen, was nicht geschlossen das Hohelied des Westens anstimmt. Und da sind die dritten, die im verzweifelten Staffellauf der 'Politisiertheit' wie beliebig von links nach rechts das agitatorische Hemdchen wechseln – dem Motto Hauptsache 'Extremismus' (statt Radikalität) gemäß – und damit tatsächlich einem Aktionismus frönen, der so etwas wie überparteilicher Faschismus direkter Aktion genannt werden mag.

Leider also sind auch diese drei Persiflagen abstruses, jedoch strukturelles Erbe von 68 spezifisch in Deutschland  – ein Erbe, das man zwar ausschlagen sollte, aber nicht fortleugnen kann. Jene drei Erbschleicher gefährden das Andenken an die emanzipatorischen Hoffnungen ebenso wie die kompromisslose Analyse der immanent kapitalistisch gewendeten Inkorporationen von 1968. Darum ist, um an den Geist der Revolte und den Strand unter dem Pflaster zu erinnern, die unheilige Dialektik aus außerparlamentarischer Koalition, Achsenmacht des Guten und überparteilichem Faschismus zu dekonstruieren, bis diese sich geschlossen als heterogener Verrat an 68 positionieren muss.