Zimmernotiz - Kammerspiel

Von Leon Gelberg

Die Gegenwart dieser Krise ist der Krise der Gegenwart verschieden und doch gleich. Kann man letztere darin fassen, dass sie nichts anderes will als sich selbst: Gegenwart, ist der Wunsch in derzeitiger Krise, Covid-19, die Krise der Gegenwart; dass alles sich wieder normalisieren soll. Mahnen zwar Kommentare, dass keine Rückkehr zum Davor möglich ist, bleibt die Tendenz unverändert. Die derzeitige Situation ist die Erfahrung eines entleerten Stillstands, der nicht mehr rasender Stillstand (Virilio) sein kann. Und doch ist er auf seine Art eigenartig: Wäre es bloß die Gewissheit einer möglichen Geschichtlichkeit, die real resultiert aus der weitergehenden Veränderung, welche die globalen Maßnahmen herbei geführt haben. Und doch entpuppt sich zunehmend die Gewissheit über die Veränderbarkeit des Bestehenden als die Gewissheit einer realen Erfahrung von möglicher Geschichtlichkeit, depotenziert zur schlichten Subtraktion notwendiger Bewegung. Im dämmernden Zustand verspricht die Dämmerung weder Nacht noch Tag, das Gleiche ist nicht mehr gleich es selbst, und doch nichts anderes. Es ist sich selbst weniger und reduziert sich mehr auf die Aufrechterhaltung schlafender Kulissen. In Quarantäne erblickt man in diesem Licht ein Ende des Gleichen als Gleiches, das eher einem Stück Becketts ähnelt, als dem messianischen Eingriff in postmodernen Stillstand, den man sich so sehnt. Und doch ist das Ende, das man erblickt, imaginär. Man ist im Zwischenraum, wo Zeit eben vollends im Dunst versinkt, ferner ist jeder Zustand, der solche Umwälzungen verspricht, dass man Zeit als substantiell, entscheidend und unaufhaltsam wahrnimmt. Geschichtlichkeit, die sich von derjenigen Veränderung unterscheidet, die alleinig in Subtraktion sich vollzieht, ist immer gegeben kraft eines Widerstandes. Dass Widersprüche allein keine Geschichtlichkeit mit sich ziehen, dafür ist der gegenwärtige Kapitalismus Beweis genug. So differiert der Widerstand vom Widerspruch, sofern er eine Ordnung, anstatt sie wie durch bloßen Widerspruch zu differenzieren, zu brechen. Wenn man in der jetzigen Krise Geschichtlichkeit wahrnimmt, dann ist dies der Fall nicht aufgrund zyklischer Krisen des Finanzmarktes, Emanationen des Widerspruchs, sondern aufgrund eines Widerstands, der Mutation eines Virus, sprich Widerstand als Kontingenz, die sich nicht beherrschen lassen kann. Kommen sollte es jedoch nicht zum Bruch: Die Krise wird zu einer des Widerspruchs, was bleibt sind nicht nur die Toten des Virus, sondern vielmehr all jene Toten, die der Wirtschaftskrise zum Opfer fallen, die nach allen Prognosen eintreten wird. Dass kein primärer, subsumierender Sinngehalt, anders als beispielsweise bei der Flüchtlingskrise oder dem Klimawandel, festgestellt werden kann, verweist Geschichtlichkeit wieder in den Raum unmöglicher Veränderung außerhalb der Kontingenz eines Bestehenden. Es gibt keine politische Ideologie, die das Geschehene in ihrem Kompass-Feld fassen kann. Überall herrscht Verwirrung, als würde sich die Kontingenz einer Mutation in den Versuchen symbolischer Ordnung übertragen und spiegeln. Der Widerstand des Virus ist unsichtbar, er ist für die sinnliche Gewissheit inexistent. Sofern man den Grund der derzeitigen Situation nicht ausmachen kann, selbst der Tod in den Kliniken unsichtbar ist (und somit anders als bei der Pest im ausgehenden Mittelalter, bzw. der spanischen Grippe), bleibt nur noch die Betrachtung des Ergebnisses einer folgenschweren Subtraktion. Was jedoch auch bleibt, ist eine Einsicht in die Eigenmächtigkeit dessen, was man als Natur versteht. Ähnlich wie in der Reflexion des „Klimawandels“, zeigen sich Risse der Immanenz, begründet in den Möglichkeitsbedingungen ihrer selbst. Was angegriffen wird, ist ihr Fetischcharakter, ihre Gestalt als Wesentliches, und das bis vielleicht ins Skelett des Kapitals. Doch die Gewissheit über die Geschichtlichkeit ist zuletzt eine Gewissheit der Ungewissheit über das, was ihr nicht gleicht.